Das untergegangene Dorf Kuhweide

vorgestellt von Tim Voß

Reisevorbereitungen in ein untergegangenes Dorf

Unweit von Frauenhagen – Richtung Biesenbrow gelegen – gab es einmal ein Dorf, das 1375 erstmals urkundlich erwähnt, im Dreißigjährigen Krieg verwüstet und 1891 ganz aufgelöst wurde. Die Quellen dazu sind rar, sagt man sich, man wisse nicht besonders viel über diesen Ort. Es habe dort sogar eine Kirche gegeben, in Kuhweide.

Bei dem Ortsnamen in Verbindung mit dem Wort der Verwüstung denke ich unweigerlich an die Novelle „Die Kuh“, die Friedrich Hebbel in den Jahren ab 1843 beschäftigte und die er schließlich 1849 in der Wiener Zeitung „Die Presse“ veröffentlichte.

In der Buchform ist dieser themen- und motivreiche Text knappe sechs Seiten stark und es geht dabei um einen Tagelöhner, der in der Stube sitzt und das Geld zählt, welches er gleich endlich für das ausgeben kann, woraufhin er so lange so hart gearbeitet und so viele Entbehrungen auf sich genommen hat: eine Kuh.

Er betrachtet die Münzen und Scheine und erzählt seinem wohl einjährigen Sohn, welches Geldstück er für welche Mühen von wem bekommen hat. Nun habe er es endlich zu etwas gebracht. Eine Kuh bedeutet für die Menschen zu der Zeit und in diesen Gegenden (anderswo gilt das ja noch immer) nahrhafte Lebensmittel, wertvolle Tauschmittel und dadurch Wohlstand, Ausgeglichenheit und langanhaltende Fruchtbarkeit sowie daraus wiederum gesteigerter Wohlstand.

Der Mann wartet auf die Kuh und auf seine Ehefrau, die das Tier vom Verkäufer, der seinen Knecht als Übermittler mitschicken wird, in jedem Moment bringen wird. Der Mann zündet sich eine Pfeife an, wirft das dafür genutzte Stück Zeitungspapier, in das vorher die Geldscheine gewickelt waren und das er nun dafür nicht mehr braucht, auf den Boden und geht hinaus, um rauchend zu warten. Draußen hört er die Kuh und geht hinein, um das Geld zu holen. Doch als er die Stube betritt, sieht er, wie sein kleiner Junge gerade fröhlich den letzten Geldschein verbrennt.

Er eilt zu dem Kind, nimmt es, schlägt es gegen die Wand, sodass ihm der Schädel zerberstet, geht mit einem Strick auf den Strohboden, erhängt sich, der Knecht betritt das Haus, sieht den Jungen, sucht den Mann, erschrickt über dessen Beine auf seiner Schulter, als er die Leiter zum Strohboden hochsteigt, kippt dabei die Lampe um, das Stroh fängt Feuer, das Haus brennt, die Kuh rennt ihrem „angeborenen unseligen Trieb folgend“ ins Feuer und alles ist wüst und leer. In einem Nebensatz schreibt Hebbel, dass nicht klar ist, ob die Frau bewusstlos wegen des Kindes war oder ob sie durch die schnelle Rauchentwicklung erstickte.

Gut bekannt ist die desaströse Situation während des Dreißigjährigen Krieges in der Uckermark: Es ist kein Ort bekannt, der nicht stark unter allen Kriegsgegnern durch Mord und Todschlag, Beraubungen und Verwüstungen gelitten hat.

Etwa von Bölkendorf weiß man, dass die wenigen verbliebenen Einwohner 1637 geflüchtet sind. In der Stadt Angermünde lebten nach dem Krieg knappe zwei Hände voll Menschen und etwa in Schmargendorf gar niemand mehr.

In seiner Abhandlung „Aus der Vergangenheit des Kirchenkreises Angermünde“ von 1932 schreibt Pfarrer Hans Nordmann: „1638 teilt Nikolaus Grau, der Pastor von Bruchhagen mit, dass in Kuhweide nur noch rund 8 Personen zum Abendmahl kommen. Die ohnehin schon baufällige Kirche ist von den Soldaten bei der Plünderung so zugerichtet worden, dass, wenn der Gottesdienst fortgesetzt werden soll, ein Neubau erforderlich ist. Auch allen Ornat haben die Soldaten geraubt.

Die beiden Stücke Kirchland sind zur Wildnis geworden… 30 T. Schulden stehen aus, aber die Register sind verloren und die Schuldner tot. Einnahmen sind in letzten Jahren ausgeblieben.“ Gut, bei acht Abendmahlsgängern könnte heute manch ein Pfarrer neidische Gedanken hegen, aber auch zu der Zeit war die Zahl im Vergleich zur Bevölkerung in den anderen Dörfern ähnlich, denn 1638 war ein Jahr, dem schon endlose 20 Jahre bitterbösen Kriegs vorangegangen waren, und dem noch lange zehn Jahre des Schreckens folgen sollten.

Also kann damit gesagt werden, dass die Verwüstung des Dreißigjährigen Krieges nicht der primäre Grund des Untergangs von Kuhweide war. Nordmann schreibt weiter: „1716 heißt der Pfarrer Johann Maloh… Der Ort scheint sich wieder erholt zu haben… Die Kirche scheint man ebenfalls wiederhergestellt zu haben, denn das Inventarium nennt 3 Messingleuchter, Abendmahlsgerät und Taufbecken aus Zinn, einen neuen Chorrock, eine ganze Anzahl linnener, seidener, taftener und farbiger Altartücher… und bei den Vorstehern eine Lade, in der das Vermögen von über 133 T. aufbewahrt wird.“

Und doch gibt es diesen Ort heute nicht mehr. Warum? Hat das größere Frauenhagen sie tatsächlich 1891 „geschluckt“, wie manche sagen? Vielleicht, ich will versuchen, die genauen Umstände herauszubekommen und sie skizzieren.

Was ich aber eigentlich will, ist es, herauszufinden, welche Menschen mit welchen Berufen und in welchen Familien mit Freud oder Leid lebten und wie sich das Dorfleben in seiner Struktur, in den Gegebenheiten und im Lebenspraktischen darstellte und entwickelte. Eine große Hilfe wird dabei zunächst und unter anderem das wiederentdeckte „Kuhweidische Kirchenbuch“ sein.

Pfarrer Heise fand es beim Aufräumen auf dem Dachboden des nun entwidmeten Pfarrhauses zu Schönermark, daneben etliche Briefe Kuhweide betreffend. Bei der Beschäftigung mit diesen Menschen könnte es möglich sein, dass dieses untergegangene Dorf in gewisser Weise wieder aufleben könnte.

Darüber hinaus können die Menschen aus den umliegenden Orten Verbindungen zu sich selber entdecken, am einfachsten durch Namen, die ihnen geläufig sind oder die sie manchmal vielleicht sogar selber tragen. Und dann noch ein Gedanke:

Die Augen vieler Künkendorfer, Welsower, Dobberziner, Schönermarker oder Biesenbrower konnten vor hunderten von Jahren ihre Kirche sehen. Sie nahmen die Räume wahr, weinten dort, dachten nach, fühlten sich geborgen, waren voller Liebe und Hoffnung. Sie sangen dort und hörten die Glocken und deren Bedeutung, denn ihr Klang rief zum Mittag, zum Feierabend, kündigten an und kündigten ab.

Und bei den Künkendorfern, Welsowern, den Dobberzinern, den Biesenbrowern und vielen anderen auch ist das heute noch so oder kann und könnte es heute noch so sein.

Das verbindet Generationen von Menschen, die vor uns da lebten, wo wir heute sind. Nur in Kuhweide, da geht das nicht mehr, da ist das Band zwischen den Menschen vorhergehender Generationen und uns und allen uns folgenden durchtrennt. Weil es Kuhweide mitsamt seiner Kirche nicht mehr gibt.

Mit dieser Art Sozialgeschichte soll anhand derer von Greiffenberg begonnen werden. Zum einen liegt das daran, dass diese Familie lange Patronen von Kuhweide war.

Anhand dieser Grafen kann man andere Familien, die keine Adligen waren, sondern Bauern, Bäcker, Müller oder Küster, am roten Faden beleuchten. Zum anderen bin ich recht spät mit der Abgabe meines Textes für diese Ausgabe des Kirchenblattes und der Verantwortliche schrieb, wenn ich nicht rechtzeitig abgeben würde, müsse mein Text „auf Halde“ kommen.

So etwa wie die Überreste der Gebäude eines untergegangenen Dorfes.

Ich hebe meine Augen auf zu den Greiffenbergern

Nach den Entbehrungen des Dreißigjährigen Krieges hat sich das Dorf Kuhweide zu Beginn des 18. Jahrhunderts wieder erholt. Der Lokalvisitationsakte von 1716 ist zu entnehmen, dass der Pfarrer von dem Patron Hans von Greiffenberg „infolge einer lebenslänglichen Zulage“ statt 17 Scheffel Meßkorn nun 27 bekommt. Wenn ein Scheffel 50 Kilo gewogen hat, sind das immerhin 500 Kilo mehr als vorher, welche die Kuhweider auf Geheiß des Herrn von Greiffenberg an die Kirche abführen mussten. Darüber hinaus sind als Inventar der Kirche drei Messingleuchter, Abendmahlsgerät und ein Taufbecken aus Zinn, taftene und farbige Altartücher, ein Spind für die Geräte  und eine Lade mit über 113 Talern verzeichnet, was in etwa mit zehn Jahresdurchschnittseinkommen verglichen werden kann.

Neben den Abgaben der Einwohner profitierte der Pfarrer, er hieß Johann Mahlow, von dem Recht, Land des Herrn von Greiffenberg nutzen zu können. Dabei ist in den Akten von einer Wiese und einem Ackerstück in Kuhweide die Rede. Neben der guten Wirtschaftskraft deutet das auch auf ein gutes Verhältnis zwischen Hans von Greiffenberg und Pfarrer Mahlow hin. Auch die beiden anderen Kirchen – Bruchhagen und Görlsdorf – gehören zu dem Patronat dieses von Greiffenbergs und auch in das Zuständigkeitsgebiet dieses Pfarrers.

Als Letztgenannter am 23. August 1729 stirbt und die Pfarrstelle vakant wird, kann sie 1730 für Kuhweide und Bruchhagen neu besetzt werden. Der neue Pfarrer legt nach seinem Dienstantritt ein neues Buch an, dessen Titel er so mit Feder und Tinte verfasst:

„Kuhweidisches Kirchen=Buch / worinnen die Getaufte, Getraute / und verstorbene / von Anno 1730 / den 4. Mai / zu finden / angefangen von Cyriaco Kirchnern damahligen Prediger“

Abgesehen von der damals noch uneinheitlichen deutschen Rechtschreibung klingt der Name des neuen Pfarrers schon etwas merkwürdig: Cyriacus Kirchner als Name eines Pfarrers scheint eher der Feder eines Romanautos nach der Findung eines Pseudonyms entstammt zu sein als ein von den Eltern gegebener. Die Bedeutung des Vornamens kommt aus dem Griechischen und heißt so viel wie „Herr“ oder „Hirte“. Dann bedeutet der Name also: Der Herr der Kirche. Das kann doch nicht sein. Aber weit gefehlt, es gab ihn tatsächlich. In seinem „Evangelischen Pfarrerbuch für die Mark Brandenburg seit der Reformation“ von 1941 schreibt Otto Fischer einen Eintrag zu Cyriakus Kirchner.

Kirchner wurde am 12.05.1696 in Pinnow als Sohn des Pastors Gottlieb Kirchner und Mag. Sib. Adami in Pinnow geboren, war ab 1730 Pastor in Kuhweide und Bruchhagen, ab 1743 zugleich Pastor von Görlsdorf und ab dem Jahr 1754 bis zu seinem Tod am 3.12.1760 Pastor in Greiffenberg.

Den Psalm 121 so abgewandelt zu denken, dass er seine Augen auf zu den Greiffenbergen hebe, das hätte Herrn Kirchner einfallen und gefallen können. Zum einen bekommt er die Hilfe, die er für die Bestreitung seines Lebensunterhalts und zum Unterhalt seiner Kirche benötigt, von Herrn Hans von Greiffenberg. Diese Hilfe des Herrn, wie es in dem Psalm weiter heißt, könnte er auch so verstanden haben, denn er war ja in ganz lebenspraktischer Hinsicht abhängig von seinem Patron.

Andererseits scheint Pastor Kirchner nicht nur zu Hans von Greiffenberg aufgeschaut zu haben, sondern auch zu der nahegelegenen Stadt gleichen Namens, aus welcher die Patronatsfamilie zu Greiffenberg ursprünglich stammt. Sein großes Anliegen, seinen Arbeits- und Wohnort in die Stadt Greiffenberg zu verlegen, um besser gestellt zu sein, wird in Briefen aus seiner Zeit deutlich.

Schauen wir aber einmal genauer in dieses von ihm begonnene Kirchenbuch und betten es mit unserem geschichtlichen Wissen, dann erschließt sich auch etwas von dem täglichen Leben in diesem untergegangenen Dorf Kuhweide.

Der allererste Eintrag in Kirchners Kirchenbuch ist vom 4. Mai 1730, „morgens um 3 Uhr ist Friederich Wetting eine Tochter gebohren, so den 14. ejurdem getauft und Anna Tugendreich benahmet worden.“

Als Paten sind zehn Namen aufgeführt: Maria Wilzen, Maria Mandelkoen, Sophia Malzan, Sophia Gebauer, Sophia Walters, Christian Gentz, Michael Falck, Johann Boaß, Friederich Witte und Heinrich Lüder. Die hohe Anzahl an Paten ist beeindruckend, für die Zeit aber nicht ungewöhnlich, denn besonders für Erstgeborene sollte damit die Absicherung im Falle eines Ablebens der Eltern sichergestellt werden. Darüber hinaus wurden gesellschaftliche Bande geknüpft, was sich parallel bei folgendem Eintrag zeigen lässt:

„Den 22 August (1731) ist Herrn Hans von Greiffenberg Nachmittage um 2 Uhr eine Tochter gebohren, so den 25 ejurdem getauft und Tugendreich Wilhelmina Dorothea benahmet worden.“

Auch hier werden genau zehn Paten genannt, als erstes eine Gräfin, dann die Frau Hauptmannin von Sido, später die Fräulein von Aschersleben und von Klützov, ein Oberstleutnant, der Herr Capitain von Sido, Herr Leutnant von Essen und zuletzt ein gewisser Cyriakus Kirchner.

Sowohl die Namen der Tochter als auch die Nennung der Titel passen in diese Zeit. Es regiert seit acht Jahren der erste König von Preußen, Friedrich Wilhelm I., dessen Frau Sophia Dorothea heißt.

So bekommt das Töchterchen von Greiffenberg die königlichen Zweitamen Wilhelmina und Dorothea. Aber auch der erste Name, Tugendreich, den auch ihre knapp anderthalbjährige Nachbarin trägt, ist ein klares Zeichen seiner Zeit.

Der oberste Herrscher des Landes hat den Beinamen „Soldatenkönig“.

Er verschlankt den Staatshaushalt, nachdem sein Vater stirbt, auf das, was ihn notwendig erscheint:

Obwohl er den Krieg hasst, baute er ein riesiges Heer auf, an dessen Spitzenschicht der Landadel steht, was man an den militärischen Titeln unseres Taufeintrages sehen kann. Verbunden mit der Haltung des Soldatenkönigs zeigen sich die von ihm geprägten preußischen Tugenden sogar unverschönt im Namen der Neugeborenen. Zu diesen Tugenden gehört – neben Pünktlichkeit und äußerlich sichtbarem Anstand – die absolute Autoritätshörigkeit. Friedrich Wilhelm I. führt im Jahr 1717 die allgemeine Volksschulpflicht für alle Kinder zwischen fünf und zwölf Jahren ein. Er will, dass die Menschen lesen und schreiben können, insbesondere liegt seine Gewichtung allerdings im Religionsunterricht, damit die Menschen glauben, dass der Herr – also er selbst, der König – hilft.

Und so werden Mädchen mit den Namen Tugendreich, Hippolitta oder Maria, Jungs namens Friedrich, Ephraim oder Carl Wilhelm auch in der Schule in Kuhweide unterrichtet. 1739 findet sich ein Taufeintrag des Sohnes des Schreibers von Kuhweide und als Pate ist genannt: „Friedrich Gottlieb Brunke, Schulmeister in Kuhweide“. Worüber sprechen die illustren Gäste bei der Tauffeier von Tugendreich von Greiffenberg 1731 in Kuhweide wohl? Mit Sicherheit sind auch der König und seine Tugenden Thema, denn der Soldatenkönig hat nur ein Dreivierteljahr vorher über etwas entschieden, was seine preußische Haltung manifestiert:

Er hatte den Freund seines Sohnes, mit dem dieser aus den Fängen seines Vaters nach Frankreich fliehen wollte und zu dem ihm eine intime Freundschaft verband, den Hans Hermann von Katte,

für dieses Vergehen und als Zeichen seiner Macht vor den Augen seines Sohnes, der darüber ohnmächtig wurde und den man später Friedrich den Großen nennen wird, köpfen lassen. Das beschäftigt die Menschen in dieser Zeit und lässt sie eine bestimmte Tugend annehmen. Es werden in den nächsten Jahren noch fünf weitere Taufen der Familie von Greiffenberg in Kuhweide gefeiert, von drei Töchtern und zwei Söhnen. Herr Kirchner ist immer dabei und meist ist er auch Pate, oder seine Frau oder beide sind es. In seinen 24 Jahren als Pfarrer von Kuhweide tauft er 92 Neugeborene, verheiratet 26 Paare, beerdigt 47 Menschen und hält mindestens 1200 Gottesdienste, bevor er eines Tages 1754 seine Habseligkeiten auf eine Kutsche packt, losfährt und seinen Blick Richtung Greiffenberg hebt.

Müllernetzwerke

anhand der Familien der Breitenteichschen und Ziethenschen Mühlen im 18. Jahrhundert aus dem Kuhweider Kirchenbuch

Pastor i.R. Horst Fichtmüller hat es geschafft: Die Greiffenberger Erdholländermühle steht seit Mitte Juli mit Flügeln da und ziert als historisches Zeugnis unsere Landschaft. Das hat er nicht allein geschafft, wird er sagen, dazu gehören viele helfende Hände und Köpfe, Münder und Herzen. Aber doch ist ihm zu gratulieren, denn er hat den Glauben an die Fertigstellung mehr gehabt als jeder andere und er hat die heute so genannte Netzwerkarbeit geleistet, hat vermittelt und geworben, geschrieben und gesprochen und Hände in den seinigen gebettet. Das Geflecht, das es benötigt, um ein solches Projekt zu erschaffen, hat er auf seine Weise gebildet. Und der Weg dorthin war nicht immer besehen mit diesen flachen Steinchen, die ich gerne aufhebe, um sie über den Heiligen See flunschen zu lassen, damit meine Töchter staunen. Netzwerkarbeit stellt sich erst im Nachhinein als intendiert und gelungen dar, im Prinzip schwankt das als gelungen empfundene aber auf unseren Zeitachsen.

Bezüglich der beiden Mühlen, die früher einmal dem heutigen Wohnort der Fichtmüllers am nächsten standen, zeigen sich diese Höhen und Tiefen der Netzwerkarbeit exemplarisch an den Familiengeschichten der damaligen Müller. Genauer handelt es sich bei diesem Narrativ um die Familie des Müllermeisters Martin Schultze von der Breitenteichschen Mühle und um die Familie der Ziethenschen Mühle des Meisters Johann Wolff Mitte des 18. Jahrhunderts. Diese wechselvolle Geschichte lässt sich aus dem Kirchenbuch des Dorfes Kuhweide, das es heute nicht mehr gibt, rekonstruieren.

Kuhweide war ein Dorf, das viele Jahrhunderte existierte, in dem es eine Schule und Gewerke gab, Menschen die dort als Knechte, Schreiber, Lehrer, Schäfer, Pastoren oder Schuster arbeiteten oder als Patronen wohnten, in dem es eine Kirche gab und eben auch zwei Mühlen, die dazu gehörten: Die Breitenteichsche und die Ziethensche. Die Orte der Mühlen gibt es heute noch. Das Dorf Kuhweide wurde allerdings samt seiner Kirche unwiderruflich vor knapp 130 Jahren abgerissen und es existiert nur noch in der sprachlichen oder gedanklichen Zurückgewinnung durch Texte und uns und als Acker.

Müller waren auch zu der Zeit um das Jahr 1750 gutgestellte Personen, die ein Familienunternehmen leiteten, von denen alle beteiligten gut leben konnten. Ernst Anschütz (dessen Urenkeltochter übrigens vor einigen Jahren Ortsvorsteherin in Altkünkendorf war) verdeutlicht es in seiner Volkslieddichtung, das jedes Kind kennt, so: „Er (der Müller) mahlet das Korn zu dem kräftigen Brot / und haben wir dieses, so hat´s keine Not.“ Und später: „Und schenkt uns der Himmel nur immerdar Brot / so sind wir geborgen und leiden nicht Not.“

Johann Wolff, der Müller auf der Ziethenschen Mühle, leidet aber doch Not. Wenn auch sein Berufsstand ihn nicht hungern lässt, er angesehen ist und einige Knechte und Mägde beschäftigt, so ist sein Privatleben oft nicht vom Glück gesegnet. Am 9. Januar 1738 heiratet er in der Kirche von Kuhweide eine Frau namens Eva Margaretha. Beide werden Paten so mancher Kuhweider Kinder, besonders der Kinder des Lehrers, des Schreibers und des Pastors. Aber selber ward ihnen das Glück von Kindern verwehrt. Nach sechseinhalb Jahren Ehe stirbt Eva Margaretha am 10. Juni 1744 und lässt Johann allein auf der Mühle mit dessen alten Vater, der ebenfalls Johann heißt.

Doch Müllermeister Wolff findet in seiner Zunft eine Frau, deren Familie ebenfalls hohes Ansehen genießt: Rahel Dorothea Blaurock.

Sie ist so angesehen, dass Pastor Kirchner bei den Taufeinträgen ihrer ersten drei Kinder sie nicht wie bei anderen Einträgen etwa weglässt oder als Ehefrau oder Eheweib bezeichnet, sondern er schreibt jeweils als letzten Satz: „Mater fuit Rahel Dorothea Blaurocks“ (Die Mutter war R. D. Blaurock).

Das erste Kind Johann Wolffs wird im Taufeintrag regelrecht gefeiert: Dorothea Louisa, deren Rufname nicht nur der zweite Name der Mutter sondern auch der der Königin von Preußen ist, wird ausgerechnet am 24. Dezember 1746 geboren und am 2. Januar 1747 getauft. Sie hat sage und schreibe neun Taufpaten. Als erste wird Frau Maria Justina genannt. Sie ist Dorotheas Großmutter „Mstr. Blaurocks des Joachimsthalschem Müllers Ehe=Frau“. Weiterhin sind u.a. Paten die „Fr. Langen, des Mstr. Peter Langen, des Stolpeschen Müllers Ehe=Frau“ und „Mstr. Kemnitz, Müller zu Blumenberg“.

Wenig später, am 11. April 1749 wird Johann Ephraim geboren. Unter seinen fünf Paten findet sich als erstes der Pastor Kirchner, an zweiter Stelle aber schon der Breitenteichsche Müller Martin Schultze. Damit wird die Verbindung zwischen den beiden Mühlen befestigt. Das nächste Kind, Johanna Charlotte, wird am 26. November getauft. Ihre Paten sind u.a. eine Frau Schultze aus Schönermark, die Bäckersfrau aus Schwedt und Frau Berendt, die Haushälterin der Breitenteichschen Mühle. Damit wird die Familienbande wieder befestigt und geschäftliche Verbindungen bestärkt, denn man muss sich nur vergegenwärtigen, dass diese Menschen miteinander den Taufgottesdienst gefeiert haben und danach miteinander aßen und ins Gespräch kamen.

Leider treffen sich diese Menschen nur ein halbes Jahr nach Johannas Taufe wahrscheinlich wieder, denn sie stirbt am 21. Mai des darauffolgenden Jahres – genau sechs Tage nachdem auch ihre Schwester Dorothea Louisa im Alter von siebeneinhalb Jahren heimgehen musste.

Natürlich wissen wir um die hohe Kindersterblichkeit in früheren Jahrhunderten, aber damals wie heute wird das bei den Eltern tiefe Spuren hinterlassen haben.

Dennoch wurden weitere Kinder geboren: Marie Elisabeth am 20. Juni 1753, Beathe Louise am 9. April 1756, Christian Friedrich am 28. Februar 1759 und Dorothea Elisabeth am 28. Januar 1762, zwei Wochen nach der Beerdigung von Christian Friedrich, der „an den Würmern“ gestorben ist.

Sie alle haben wieder Paten, die unter anderem Müller und Bäcker und Verwandte namens Blaurock oder Schultze und das Familien- und Geschäftsnetzwerk bestärken. In dem Jahr, in dem der jüngste Sohn stirbt und die jüngste Tochter geboren wird, stirbt auch Johann Wolff am 1. Juni 1762. Er hinterlässt seine Frau Rahel mit den vier noch lebenden Kindern im Alter von einem halben Jahr bis 13 Jahre und der großen Mühle. Was soll sie nun bloß machen, um dieser Verantwortung gerecht zu werden?  Nach verstreichen des Trauerjahres, ein Jahr und eine Woche später, am 9. Juni 1763 heiratet sie den Sohn des Biesenbrower Müllermeisters Bartholomäus Nauendorf, Johann Gottlob. Für Rahel bedeutete diese Ehe insofern wenig Glück, als dass sie ein knappes Jahr später ebenfalls stirbt, am 26. April 1764. Und so geht der Zahn der Werke weiter: Nauendorf ist nun der Name der Mühlenbesitzer der Ziethenschen Mühle und er heiratet eine aus Mecklenburg-Strelitz stammende Müllerstochter namens Dorothea Charlotte Müller und bekommt mit ihr vier Kinder, bis er selber im Jahr 1777 verstirbt.

Sie haben vier gemeinsame Kinder, zwei Söhne und zwei Töchter. Die Patin der ältesten Tochter, die bei dem Tod der Mutter 1806 noch lebt, ist Frau Schultze, die Müllerin der Breitenteichschen Mühle.

Johann Wolff und Martin Schultze, der Müller der Breitenteichschen Mühle, sind beide etwa im gleichen Alter. Beide sind im gleichen Dorf aufgewachsen und haben die gleichen Berufe gelernt. Nachweislich begegnen sie und ihre Familien sich bei der Taufe von Maria Christina Boas am 27. Oktober 1742. Maria Christinas Vater ist Joachim Boas, der Jäger-Meister des Herrn von Greiffenberg, der zu der Zeit Patron Kuhweides ist. Ihre Paten sind u. a. und neben zwei weiteren Müllern „Martin Schultze, Mühlenbursch auf der Breitenteichschen Mühle“, „Fr. Schultzen Schultzens Müllers auf der Breitenteichschen Mühle Ehefrau“ und „Fr. Wolffin Wolffs Müllers auf der Ziethenschen Mühle Ehefrau“.

Doch gehen wir bei Martin Schultze genauso vor, wie bei Johann Wolff: Schultze ist Anfang 20, als sein Vater, der Mühlenmeister Michael Schultze 1734 und seine Mutter Anna Maria (geb. Koch) wenige Monate später sterben. In so jungen Jahren ist er nun der geschäftsführende Erbmüller. Erst acht Jahre später heiratet er Maria Elisabeth Hinnenburg, eine verwitwete Budow. Im Verhältnis zu Johann Wolff hat er es familiär augenscheinlich etwas besser: Er stirbt erst mit 54 Jahren und drei seiner vier Kinder überleben ihn, sein Nachfolger Georg Johann Friedrich, Martin Ernst und Maria Elisabeth. Der dritte Sohn, Ephraim, stirbt mit 21 an „einer hitzigen Brustkrankheit“ am 13. März 1767.

Bemerkenswert ist aber auch hier die Vernetzung zu den Müllern aus der Umgebung und besonders zu der Familie Wolff. Georg Johann Friedrichs Paten sind der Onkel Christian Schultze, Müller in Bruchhagen und die Großmutter, die Mühlenmeisterfrau Hinnenburg.

Bei Martin Ernst ist einer der Paten Johann Wolff persönlich und darüber hinaus der Müller der Günterbergischen Mühle sowie die Müllersfrau aus Blumenberg, Frau Kemnitz, das war am 27. September 1744.  Bezüglich der Breitenteichschen Mühle bewirkt ein Eintrag im Kuhweider Kirchenbuch noch einmal eine etwas andere Sichtweise. Im Verzeichnis der Verstorbenen steht da für das Jahr 1776: „den. 11ten März ist auf der Breitenteichschen Mühle ein einfacher Mühlenbursch an der Schwindsucht im 69. Jahr seines Alters gestorben und den 12ten begraben worden.“ Als ob es doch wichtig sein könnte, fügt der Pastor erst hinterher, zwischen die Zeilen und mit Einfügestrich hinter dem „Mühlenbursch“ die Worte „namens Carl Schwarzkopf“. So ein einfacher Mensch scheint nicht so wichtig zu sein, wie andere, wenn man den Namen nicht gleich notiert und dieser nicht im Zentrum der Aussage steht. Dabei ist er jemand gewesen, der aufgrund seines Dienstes von über einem halben Jahrhundert die Mühlengeschichte über drei Generationen Müllermeister erzählen könnte.

Diese Fülle von Namen mit ihrem Glück, ihrem Leid, ihrem Tun und ihrem Ansehen zeigen also eine enge Vernetzung zwischen den Müllerfamilien der Breitenteichschen und der Ziethenschen Mühle im 18. Jahrhundert. Sie haben miteinander gefeiert und gelitten, sind Wege miteinander gegangen in Freud und zu schlechteren Zeiten und haben ihre Geschäftsbeziehungen miteinander verwoben. Ihre Namen Nauendorf, Schultze und Blaurock gibt es auch danach in den Müllerfamilien der Umgebung. Die Breitenteichsche Fachwerk-Mühle ist Anfang des 19. Jahrhunderts abgebrannt und mit Backsteinen neu gebaut worden. Dankenswerterweise wurde sie so restauriert, dass sie so noch viele Jahre überstehen kann. Von der Ziethen-Mühle steht noch etwas, man kann dem Treiben der vergangenen Jahrhunderte noch vor Ort nachspüren.

Und heute können wir eine funktionierende, mahlende Mühle bestaunen, die mit wunderbarer Netzwerkarbeit wieder aufgebaut werden konnte: in Greiffenberg.

Wer mag, kann sich das Wunderwerk gern einmal anschauen und vielleicht auch ein Teil der zukünftigen Netzwerkarbeit werden. Nähere Informationen – auch zu dem großen Festakt – finden Sie im weltweiten Netzwerk unter

www.muehle-greiffenberg.de

Glück zu!

Bild: Tim Voß

[Die Reise in das untergegangene Dorf wird fortgesetzt.]

Erschienen im Gemeindebrief der Ev. GKG Angermünder Land.